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PHOTOGRAPHIES APOCRYPHES

Photographien von Olivier Christinat

 

Apokryphe Schriften werden pseudonyme Evangelien und Apostelgeschichten genannt, phantastische religiöse Erdichtungen, die von den Kirchen nicht zu den sogenannten kanonischen Büchern der Bibel gezählt werden. Die in diesen unechten, untergeschobenen Bibeltexten geschilderten Ereignisse zählen seit Jahrhunderten zu den beliebtesten Themen der bildenden Kunst. Nun lebt am Genfer See in Lausanne ein junger Photograph, der sich erneut dieser Motive annimmt. So zeigt er in apokryphen Photographien Szenen aus dem Leben von Adam und Eva, Marienbildnisse, Pietadarstellungen und allerlei Ikonen christlicher Kultur. Das "Kamera- und Fotomuseum" in Leipzig-Mölkau präsentiert vom 5. September bis zum 1. November 1998 diese Werke des in Italien, Frankreich und in seiner Schweizer Heimat vielbeachteten Künstlers Olivier Christinat, eines Lichtbildners par excellence, dessen Liebe zur Photographie in jedem Detail seiner auf ein Minimum reduzierten, von stiller Anmut geprägten Bilder spürbar wird. "Es sind keine Bilder, die dazu auffordern, das Knie zu beugen," schreibt Joachim Heimannsberg über diese Photographien, sondern "Einladungen zu kontemplativem und meditativem Innehalten, zur Erfahrung der eigenen inneren Räume." Sie vermögen besonders dadurch zu überzeugen, da sie mit einer gehörigen Portion Ironie gewürzt sind. Diese Ausstellung ist ein gelungenes Beispiel für den zeitgemäßen Versuch einer Versinnbildlichung christlicher Motive. Durch Christinats aufwendige Technik im Polaroid-Negativ-Verfahren entstehen malerische Effekte in Schwarz-Weiß, die besonders weiche Konturen erzielen. Es scheint, als ob ein Künstler Palette und Staffelei gegen Kamera und Dunkelkammer eingetauscht hat, denn auf den ersten Blick mag man nicht glauben, Photographien vor sich zu haben.

Andreas J. Mueller

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