leipzigart
 
KUNSTJOURNAL


ANNE BRAUN 1928 - 2003

- Interview mit Anne Braun Ende der 1990er Jahre
- Meine liebste Dichterin - Gedanken und Gaben zum Tode von Anne Braun
- Nachruf


Der Tänzer Andreas Keller hat sich Ende der 1990er Jahre von Anne Braun einige Lebenserinnerungen erzählen lassen und diese aufgeschrieben. leipzigart veröffentlicht das Interview exklusiv aus aktuellem Anlaß.
In der Folgezeit wird unsere Redaktion Texte, Zeichnungen und Hörspiele von Anne Braun für eine Retrospektive zusammenstellen.
Bereits verfügbar als Archiv-Editionen auf CD-ROM sind Anne Braun's Rundfunkarbeiten "Zu Hause ist's am schönsten" und "Ring mit blauem Stein" sowie die bibliophilen Erstveröffentlichungen zweier Prosatexte aus der leider unvollendeten Reihe "Träume": "Feuer" und "Schaufensterfigur" (alle Editionen erhältlich vom Verlag EDITION LEBENSRETTER über www.artists-books.de)


Andreas Keller: Anne Braun

Ich würde mich als schreibender Mensch bezeichnen, sagt Anne Braun, die Theaterkritikerin, Jahrgang 1928.
Und in der Tat, hat sie fast ihr ganzes Leben lang geschrieben und sich schreibend mit Theater beschäftigt. Schon als Kind erzählt sie ihrem Großvater, einem Lithographen, Geschichten, der diese auf Grund ihrer Originalität, aufschreibt. Und wenn es in der Volksschule zu unruhig wird bittet ihre Lehrerin sie nach vorn, um etwas zu erzählen. Sofort kehrt Ruhe ein und alle lauschen wie gebannt. Sie bekommt Ballett-, Klavier- und Zeichenunterricht und mit ihrem Vater, der gern selbst Schauspieler geworden wäre, geht sie oft in die Theater ihrer Heimatstadt Leipzig. In Großvaters Bücherschrank entdeckt sie dann als fünfzehnjährige die Welt der Literatur und liest mit Begeisterung Sudermann und Heinrich Mann und russische Autoren. So ist es also nicht verwunderlich, dass ihre Berufswahl in die künstlerische Richtung geht. Sie studiert Bühnenbild und bekommt ein erstes Engagement am Theater in Arnstadt. Hier lernt sie ihren Mann, ein Musiker kennen, dem sie 1952 nach Berlin folgt, wo im darauffolgenden Jahr ihr Sohn geboren wird. Über Umwege, auch weil das mit der Bühnenbildnerei und der freien Malerei nicht so klappt, kommt sie nach und nach doch noch zum Schreiben, ihrer großen Leidenschaft. Sie arbeitet in der Werbeabteilung des Centrum Warenhauses am Alexanderplatz, als Werbeleiterin beim Aufbau-Verlag und als Kulturredakteurin bei der satirischen Zeitschrift ’Der Eulenspiegel‘.
1974 wird sie Pressedramaturgin am Deutschen Theater. In dieser Zeit werden auch ihre ersten Theaterkritiken in ihrem späteren Hausblatt, der ’Wochenpost‘, veröffentlicht.
Ab 1978 beschließt sie freie Journalistin und Autorin zu sein, und sich ganz auf das Schreiben zu konzentrieren. Sie hat die nötigen Kontakte und reist nun fast durch die gesamte Republik, um über die wichtigsten Theaterereignisse der DDR zu berichten.
Ihre Theaterkritiken, Reportagen und Artikel über Schauspieler, Regisseure und die bildende Kunst erscheinen im ’Theater der Zeit‘, dem ’Eulenspiegel‘, dem ’Magazin‘ und der ’Wochenpost‘, der sie bis 1992 die Treue hält. Daneben schreibt sie Hörspiele und Feature fürs Radio und arbeitet an literarischen Schallplatten mit. 1992 als andere Zeitschriften, für die sie bisher geschrieben hat schon aufgehört haben zu existieren, verlässt sie die ’Wochenpost‘, sie ist nun im Rentenalter.
Zur Zeit unseres Gespräches wohnt sie noch in der Torstraße, der einstigen Wilhelm-Pieck-Straße, wo sie einen beträchtlichen Teil ihres Lebens verbracht hat. Schon an der Anzahl der Bücher lässt sich unschwer erkennen, dass hier jemand lebt, der viel Zeit mit Lesen und Denken verbracht hat. Inzwischen ist sie zu ihren Ursprüngen zurückgekehrt und lebt wieder in Leipzig, der Stadt in der sie geboren und aufgewachsen ist und in der sie studiert hat. Sie ist diesen Schritt gegangen, um ihrem Sohn und seiner Familie, im Alter, näher sein zu können.

Was völlig Neues

Ich hab schon immer erzählt und geschrieben und bin trotzdem erst mal Bühnenbildnerin geworden, da ich auch immer gemalt und gezeichnet hab. Ich hab so ’ne Art Comics gemacht. Ich hatte in der Schule eine in meiner Klasse, eine Arzttochter, die meinte, als wir unsere Berufswünsche äußern sollten, sie will Bühnenbildnerin werden, und da hat‘s bei mir Klick gemacht. Aber gefördert hat mich kein Lehrer besonders. In der Schule war denen egal, wer welche Talente hatte, mein Elternhaus spielt da eine viel größere Rolle. Zu meinem Berufswunsch gab’s in der Familie überhaupt keine Widerstände. Mein Vater war ganz begeistert. Ich bin ja immer mit meinem Vater und meinen Freundinnen ins Theater gegangen. Wir haben uns stundenlang angestellt um ’Kabale und Liebe‘ und so anzugucken. Als ich allerdings später angefangen hab zu schreiben, weil ich als Bühnenbildnerin kein Engagement gekriegt habe, hat ihm das gar nicht gepasst. Das war für ihn so, als würde ich auf den Strich gehen, mal ganz krass ausgedrückt. Mein Vater war eben sehr fürs Theater.
1943 bin ich in die Meisterschule für Gestalterisches Handwerk in Leipzig. Wir hatten gehört, dass die dort Leute suchen. Ich bin mit meiner Mutter dorthin und hab verschiedene Zeichnungen mitgenommen. Auf Grund dieser Zeichnungen, man hat das wohl schon als Kostüme angesehen, hat der Direktor der Schule gemeint: "Für sie wäre wohl Bühnenbild das Richtige", worauf die Sekretärin Fräulein Schmalz entgegnete: "Die ist doch viel zu jung". Ich war sechzehn. Aber der Direktor hat mich dann in seine Klasse genommen.

Es war schon ganz toll auf der Schule. Alle waren älter als ich und hatten schon irgendwelche Liebeskisten. Ich war da ja noch sehr zurück und hatte auch oft das Gefühl, das die Zeit nicht vergeht weil wir so viel handwerklich gemacht haben, Masken oder Buchbindearbeiten . Dann wurde die Schule geschlossen, es war Krieg, und die Schüler mussten alle in die Rüstung gehen.
Mein Vater hat mich da aber rausgeboxt und gesagt: "Das kommt überhaupt nicht in Frage, dass meine Tochter nach Düben oder Bitterfeld fährt um Granaten zu drehen." Während der Zeit war ich zu Hause, hab gemalt und im Haushalt geholfen.
Nach dem Krieg gab’s meine Schule zwar noch, aber an einem anderen Ort in Leipzig. Da mussten wir erst mal richtige Aufbauarbeit leisten, und haben mit der Spachtel den ’Teig‘ vom Fußboden gekratzt und die Fenster repariert.
Als wir fertig waren, wurde die Schule in die Dimitroffstraße umquartiert, neben die Schauspielschule und die Schule für Buchkunst. Das war ’ne verrückte Zeit damals.

Ich war ja doch sehr offen für den Staat und hab ja auch gehofft, dass das alles besser wird nach dem Krieg. Ich dachte, eine neue Zeit braucht auch eine neue Gesellschaft. Was in der Nazizeit los war, hat man ja nun alles gewusst.
Erst mal war ich glücklich, das wir nun endlich Sachen lesen und Bilder sehen konnten, die ich nie im Leben gesehen oder gelesen hatte, ob das nun die Kollwitz war oder der Barlach. Ich habe das regelrecht gefressen und habe dann ungeheuere Agitation in meiner Familie gemacht. Ich hab denen klar gemacht was das ist. Das war dieser Aufbruch.
Aber der Mist ging ja dann ganz schnell los und ich hab bald gemerkt, dass du doch nicht alles sehen durftest.

An dieser Schule gab es jetzt ganz gute Lehrer, die uns sozialkritische, proletarische Leute wie Zille, oder eben Käthe Kollwitz näherbrachten. Das war ja was völlig Neues!
Diese sozialkritische Haltung hat man ja vorher nicht erlebt. Zum Beispiel der Weberaufstand: das die Menschen eben nicht in Mietskasernen, zu acht in einem Zimmer hausen müssen, sondern ’ne anständige Wohnung haben sollten. Das fand ich alles sehr gut. Und da hab ich ja in meiner ganzen großen Begeisterung dann auch einen proletarischen Mann geheiratet. 1948 war ich dann fertig mit dem Studium.

An einem Scheißfluss

Nicht etwa das man sich nun an den Theatern beworben hat. Da gab es eine Agentur, die hieß Daxl und Hansen und von denen hab ich Angebote gekriegt, als Bühnenbildnerin nach Arnstadt in Thüringen oder an das Theater in der Wurstfabrik Halberstadt zu gehen. Ich bin dann nach Arnstadt, wo ein älterer Studienkollege von mir schon als Bühnenbildner arbeitete und ein Schauspieler, den ich kannte, dort als jugendlicher Held fungierte. Dort hab ich mein erstes selbständiges Bühnenbild gemacht. Wobei Entwerfen und Aufbauen noch das Wenigste war. Ich hab ungeheuer viel praktische Arbeit gemacht. Wir hatten Kulissen, die bemalt oder bespritzt wurden und dann fürs nächste Ding aus Kostengründen wieder umgemalt werden mussten. Die Werkstatt war an einem Fluss, die Ill, oder wie der Scheißfluss hieß, da wurden die Kulissen zum Fluss runter geschleppt und ich musste dann die Farbe abschrubben. Das war ‘ne elende Sauerei. Das die dann das Theater geschlossen haben hat mich nicht weiter berührt. Ich wäre da auch gar nicht länger geblieben und hatte schon meine Fühler ausgestreckt. Nicht nur, weil ich die Kulissen nicht mehr waschen wollte, sondern weil ich mit meinem Chef nichts mehr zu tun haben wollte.

Ich bin dann mit meinem Mäppchen an die Theater nach Weimar und Erfurt, um vorzusprechen. Das hat dann aber alles nicht so richtig geklappt und so bin nach Halle als Hospitantin an die Hochschule für angewandte Kunst an der Burg Giebichenstein. Ich hab’ in der Bühnenbildabteilung mitgehört, bei der freien Malerei mitgemacht und richtige Bilder gemalt. Dort waren auch andere Leute als in Leipzig, was für mich eine Erweiterung war. Außerdem war das jetzt ’ne Hochschule, das andere war ja nur ’ne Fachschule.

Ich hab zu Hause in Leipzig gelebt und bin immer rüber nach Halle gefahren. Geld hatte ich keins. Als ich in Leipzig auf der Schule war hab ich auch kein Stipendium gekriegt, weil ich nicht aus ’ner Arbeiter und Bauern-Familie kam und mein Vater auch kein antifaschistischer Widerstandskämpfer, Fabrik- oder Hilfsarbeiter war. So hab ich mir wie eine Verrückte alles selber verdient und Nächte durchgearbeitet. Zum Beispiel hab ich für den Bauer-Verlag Märchenbilder koloriert, irgendwelche Kacheln bemalt und auch schon angefangen, für die ’Freie Presse‘ zu schreiben und zu texten. Ich hab alles mögliche gemacht. Da ich immer gern ins Museum gegangen bin, hab ich gehört, das die im Münzkabinett der Moritzburg in Halle Leute suchen, die Münzen mittels Katalog wieder deuten und sortieren. Die hatten während des Krieges alle Münzen in Säcke geschüttet und ins Münzkabinett nach Halle gegeben. Das war’n Säcke mit Gold und Silber. Da hab ich für eine Stunde eine Mark gekriegt. Ich hab immer so gerechnet: für ’nen Lippenstift muss ich fünf Stunden arbeiten, ansonsten hab ich allerdings damit das Studiengeld bezahlt.

In Bausch und Bogen

1952 bin ich von der Schule weg und hatte inzwischen geheiratet. Meinen Mann, Herrn Braun, hatte ich am Theater in Arnstadt kennen gelernt. Er war Musiker und spielte Fagott. Er hatte einen sehr schönen warmen Ton, das kann man nicht anders sagen. 1952 hat er ein Engagement in Berlin gekriegt, und wenn der Mann in Berlin ist, willst du dann auch dorthin. Dann hatte ich ’ne angebliche Fehlgeburt, was allerdings eine Abtreibung war. Ich wollte das Kind, aber Braun wollt‘ es nicht und hat mir irgendwelche Pillen eingeflößt. Damit kriegte die Beziehung schon einen Riss, da ging’s schon los. Meinen Sohn, der ein Jahr später kam, den wollte der ja auch nicht haben. Der wollte überhaupt keine Kinder. Die Abtreibung war viehisch, ich hätte sterben können, ich wäre verblutet oder so. Das war im Februar ’52, ich war ungeheuer deprimiert und lange im Krankenhaus.

Ich dachte Mensch, du musst was machen und bin ich nach West-Berlin und hab mich an der Hochschule in der Hardenbergstraße für den Studiengang Malerei beworben. Der Braun hat dann allerdings die Perlepikereien gemacht und gesagt: "Da krieg’ ich Schwierigkeiten mit meiner Arbeitsstelle und wie willst du das überhaupt machen". Ich hätte ja auch in West-Berlin wohnen müssen um Stipendium zu kriegen und wir kannten da ja auch keinen Menschen. So ist also der Traum von der Malerei zerplatzt. Ich hab zwar noch weitergemalt, aber alles starb. Die Liebe starb und die Malerei starb. Das war so mein erster kleiner Tod. Malerei war ein Stück Leben von mir. Ich hab ja dann noch andre Leben geführt. Katzen haben sieben Leben, da komm ich auch langsam hin.

Die erste Zeit ist ja ganz schön, wenn man sich um ein Kind kümmert, das ist was Ureignes, aber dann wollte ich wieder arbeiten. Mir war klar, mit der Bühnenbildnerei ist’s nun auch vorbei, das kannst du mit einem kleinen Kind nicht mehr machen. Da musst du dann auch abends zu Proben da sein und Herr Braun war ja als Musiker viel unterwegs. So hab ich mich bei Johannes Hegen beworben, der die Mosaik-Hefte machte. Aber das war mir dann zu fipslich. Ich war mehr für große Sachen, so in Bausch und Bogen.
Ich hab Illustrationen für Zeitschriften gemacht und war ein Jahr ich in der Werbeabteilung im Kaufhaus am Alex und hab Schaufenster dekoriert. Ich dachte, ich hab’s nur mit Ochsen zu tun. Hochmütig wie ich bin, hab ich gedacht: was ich habe, habt ihr alle nicht. Anschließend bin ich als Werbeleiterin zum Aufbauverlag, dort konnte ich ’ne Menge machen. Da hab ich getextet und gezeichnet und Messestände mit entwickelt. 600 Mark im Monat hab ich verdient, doll war‘s nicht.

Der Eulenspiegel an der Mauer

Nach zehn Jahren ging dann meine Ehe kaputt. Man hätte gar nicht erst heiraten sollen nach dieser ganzen Schwangerschaftsscheiße. 1961, kurz vor’m Mauerbau, hab ich mich dann scheiden lassen. Erst fand ich den Bau der Mauer ganz große Scheiße, weil ich oft nach West-Berlin ins Kino gegangen bin. Ich war nie für die Kommunisten, aber für diese utopischen Dinger, ganz klar. Ich hatte auch Krach mit meinen Eltern deswegen.

Unser Büro der Zeitschrift ’Eulenspiegel‘, wo ich ab ’62 als Kulturredakteurin gearbeitet hab, war an der Mauer. Und als die auf die ersten Flüchtlinge geschossen haben, hab ich das natürlich mitgekriegt. Ich ging dann ans Fenster um zu sehen was passiert ist. Da lag einer und wand sich hin und her und schrie um Hilfe. Das war der Peter Fechtner, wie ich heute weiß. In meiner Einfalt hab ich 110 angerufen, aber die müssen schon Bescheid gewusst haben, die meinten: "Es kümmern sich andere drum." Nach einer Weile kam unser Chefredakteur rein und meinte, wir sollen nicht am Fenster stehen und rausglotzen, sondern arbeiten. Ich hatte da schon ein ungutes Gefühl.

In der ’Eule‘ hab ich erst mal viele Reportagen gemacht, über bildende Kunst, über Theater oder die Arbeiterfestspiele und so was. Den gewissen Ton, den eine satirische Zeitschrift wie die Eule verlangte, ein bisschen ironisch zu schreiben, hatte ich drauf, das lag mir. Es kam allerdings auch darauf an worüber man geschrieben hat. Wenn du allerdings über bildende Kunst satirisch hättest schreiben wollen, hättest du Ärger gekriegt. 1965 war ja das 11. Plenum, wo sie die Künstler zur Schnecke gemacht haben, auch Biermann und so. Das waren so die Sachen wo ich dachte, nee, das ist nicht deins. Das kann man schon in der Bibel lesen. Da gibt’s doch ganz starke Parallelen. Wenn man zum Beispiel an die Kreuzigung Christi denkt! Wie die Oberen dies und jenes befehlen und die Leute machen’s; dann haben sie die Schnauze voll, machen ’ne Art Revolution und anschließend ist es auch nicht besser. Erst schreien sie alle Hosianna und dann: kreuzigt ihn.

Mit Biermann das hat mich genauso aufgeregt wie andere Leute auch. Ich war aber während dieser Zeit seiner Ausbürgerung gerade im Krankenhaus, auf der Isolierstation, als Hepatitiskranke. Ich hatte natürlich auch ein gestörtes Verhältnis zu Biermann, wegen meiner Freundin, die mal mit ihm zusammen war und ein Kind von ihm hat. Er hat sich da blöde benommen und ich war total auf ihrer Seite. Ich hatte so ’ne richtige Weiberhaltung dazu. Auch wenn ich’s gewollt hätte und vom Krankenhaus aus ging’s ja sowieso nicht, ich hätte mich da nicht eingemengt.

Ausgesprochen wichtig

1974 hatte es sich ergeben, das die am Deutschen Theater eine Pressedramaturgin suchten. Dort war ich zwar nur drei Jahre, aber das war ’ne ganz gute und wichtige Zeit. Die kamen auch immer alle zu mir, wenn sie was neu inszeniert haben und haben gesagt: "Mensch Anne komm doch mal, wir woll’n mal sehen, wie dir das gefällt." Als der Alexander Lang Regisseur war, hab ich mit ihm auch viel gearbeitet und konnte bei der Besetzung der Leute immer meine heißen Tipps geben. So hab ich auch Stücke betreut, die Hauszeitschrift DT-Report herausgegeben und Ausstellungen organisiert. Nebenbei habe ich Theaterkritiken unter anderem für die Wochenpost geschrieben. Benno Besson war zum Beispiel wichtig in meinem künstlerischen Leben, den hab ich schon vor meiner Arbeit dort im Deutschen Theater kennen gelernt. Ich fand seine Haltung ungeheuer gut, und großzügig war der im Leben. Wenn ich an die Inszenierung vom ’Frieden‘ denke oder an ’Ödipus‘, die er am Deutschen gemacht hat, da war ich schon sehr fasziniert. Den fand ich ausgesprochen wichtig. Adolf Dresen, der an Deutschen Theater war, fand ich auch sehr gut und wichtig für mich, der hat mich einfach machen lassen und ungeheuer anerkannt, was ich gemacht habe. Er war sehr glücklich, das hab ich sogar schriftlich, dass ich dann für 100 Jahre DT, das Buch zum Jubiläum, noch Beiträge geschrieben habe. Er war ein ausgesprochen großzügiger Chef. Den haben sie ja dann gefeuert.
Ich kriegte dann einen Chef, der eindeutig Stasi war. Und da dachte ich, hier kann ich nicht mehr bleiben. Eigentlich hätte ich da auch bleiben können, wir konnten uns alle gut leiden.

Ich wollte eigentlich nie selbst auf der Bühne stehen, aber als ich am Deutschen Theater war und die wunderbare Bühne sah, ich bin ja auch oft drübergelaufen oder musste raufhuppen, da hab ich gedacht: mein Gott, das sind so menschliche Proportionen, hier könnt'ste glatt spielen. Aber traurig, das ich nicht mitgespielt hab, war ich nicht. Ich hab dann eben mit meinem Sohn und später mit meinem Enkel herrliche Sachen gespielt. Regieführen hätt’ ich mir vielleicht zugetraut, aber das hat sich nicht ergeben. Mit der Regine Griebel hab ich 1983 diese Elsa Grube-Deister Schallplatte gemacht, da hab ich im Grunde auch ’ne Art Regie geführt. Wir haben das richtig zusammen gemacht und die Texte ausgewählt.

Am Deutschen Theater hatten wir mal einen sogenannten Aktionstag, da sollte eine Patenbrigade oder so was schreckliches aus Hoyerswerda kommen und bei einer Probe von Frido Solter zugucken. Ich stand dann also mit meiner Kollegin früh um zehn vor dem Theater und wartete auf diese Leute und die kamen nicht. Die sind früh erst mal los, einkaufen: Engerlinge und Ketchup und so, anstatt pünktlich zur Probe zu kommen. Dann kamen sie verspätet mit ihren kleinen Kindern, den Netzen und bunten Beuteln wie die Kakerlaken zur Unzeit angeschissen, und dauernd kam noch einer. Solter konnte mit seiner Probe nicht anfangen, bis er dann explodiert ist.

Das zehnte Mal ’Faust‘

Als Pressemensch hatte ich ja guten Kontakt zu Presseleuten. Ich hab denen immer Vorschläge gemacht, über welche Inszenierungen oder welches Bühnenbild sie schreiben sollen, bis ich gedacht hab: Mensch, das kannst du doch auch selber machen, das musst du doch niemandem in die Ohren kleistern.
Meine Idee, freischaffend zu arbeiten war also schon da. Ich hatte Kontakte mit verschiedenen Verlagen wie dem Insel Verlag, Edition Leipzig und dem Henschel Verlag und zum Beispiel schon über ’100 Jahre Deutsches Theater‘ geschrieben. Also es gab X Leute, die Bücher oder Beiträge von mir oder mich als Mitarbeiterin oder Teilautorin haben wollten; und ich wollte an meinen eigenen Büchern arbeiten. Außerdem hatte ich ganz große Lust über Theater zu schreiben.

Ich hab gern im Deutschen Theater gesessen, aber ich wollte das alles ein bisschen bündeln und mich auf Dinge spezialisieren, die mir am Herzen lagen. Da ich also durch die Theaterarbeit und die bildende Kunst ’ne Menge Leute kannte, hatte ich als freie Journalistin, die ich dann ab 1978 war, viel zu tun. Ich hab für ’Theater der Zeit’, für die ’Sybille‘, fürs ’Magazin‘ und den ’Eulenspiegel‘ geschrieben und bekam einen Honorarvertrag bei der ’Wochenpost‘. Der Wochenpost war ich treu, bis dass der Tod uns schied. Meist warn es Theaterkritiken, Porträts über Schauspieler oder Regisseure, und über bildende Kunst, worüber ich geschrieben hab.

Ich bin viel in der Republik rumgefahren: und hab mir die Stücke an den Theatern in Schwerin. Chemnitz, also Karl-Marx-Stadt, Dresden, Erfurt, Leipzig, angesehen. Es warn schon Stücke oder Regisseure, die mich interessiert haben, oder ein Ensemble, das ich gut fand. Ich wusste ja auch, in welcher Scheiße die arbeiten, was die für Schwierigkeiten haben. Ich wusste doch, was an so einem Theater los ist. Aber das zehnte mal ’Faust‘ ansehen war nun nicht mehr so lustig. Manchmal, wenn ich nachts von so einer langen Vorstellung wie ’Peer Gynt‘, die über drei Stunden ging, nach Hause kam, hab ich mich auf meine Korbcouch in der Küche gesetzt und geheult. Ich war fertig, aber das war’s nicht alleine. Ich dachte: so eine Scheiße, was schreibst du denn jetzt, die streichen dir doch alles wieder raus.

Verrisse hab ich natürlich auch geschrieben, aber selten. Wer meine Art zu schreiben kannte wusste genau, was ein Lob war und was nicht. Über die ’Hamlet‘-Inszenierung von Herrn Höchst an der Volksbühne hab ich zum Beispiel geschrieben, das es ellenlang ist und nichts passiert und das er doch lieber in Wittenberg geblieben wäre. Da war man natürlich dann auch beleidigt. In einer Studiobühne in Gera hatte ein gewisser Herr Krampe ’Tasso‘ gemacht, das ist eine Scheiße gewesen. Das hat mich furchtbar geärgert und das hab ich auch geschrieben. Der Artikel ist dann genau zu den Werkstatt-Tagen in Leipzig, in der ’Wochenpost‘ erschienen. Da kam mir der Regisseur entgegen und grüßte ganz freundlich, die Regisseure waren natürlich immer ganz freundlich, und ich hab dann zu meiner Kollegin gesagt: der hat anscheinend die schlimme Nachricht noch nicht empfangen.

Ich hab immer mehr gemacht als nur meine Meinung geschrieben, es kam aber auch darauf an wie viel Platz du hattest. Bei manchen Kritiken heute weiß man oft nicht, ob der Abend denn nun gut war oder nicht. Und meistens wissen die noch nicht mal wer’s gemacht hat. Man muss halt auch ein bestimmtes Hintergrundwissen zum Schreiben haben, finde ich. Das wird aber heute gar nicht mehr gebraucht. Am besten du verstehst überhaupt nichts davon und schreibst einfach los. Ist doch wahr.

Hörspiele hab ich auch gemacht. Mein erstes Hörspiel hieß: ’Zu Hause ist’s am schönsten‘. Da ging es um einen Mann, der viel gesoffen hat und der, ich sag mal, bei VEB Elektrokohle ganz schwere Arbeit gemacht hat und ’ne unglückliche Ehe hinter sich hat. Der lernte dann Eine kennen, die auch ’ne unglückliche Ehe hatte und die haben sich nun zusammengetan. Sie war ’ne Lustige, die noch ein bisschen was vom Leben haben wollte. Dieses Hörspiel war für eine Krimi-Reihe für die es immer lebende Vorbilder gab. Ich bin dann aufs Gericht und die Staatsanwälte haben mir Fälle ausgesucht, nachdem ich ihnen gesagt hatte in welche Richtung ich was machen will. Wenn du dann den konkreten Fall hast, musst du das fürs Hörspiel natürlich ein bisschen anders umsetzen, machst die Figuren auch anders und so.

Die Vorlage für mein zweites Hörspiel spielte sich hier zwei Häuser weiter ab. Der, um den es da ging, saß immer im Cafe Burger und mit ihm tauchte auch immer ’ne Menge Mischpoke auf. Und ich dachte, um Gottes willen, wenn der mitkriegt, das er das in dem Hörspiel ist …! Da hatte ich Angst. So hab ich mir ein Pseudonym zugelegt: Jutta Schwarz, damit ich keine auf die Rübe kriege.

Jutta Schwarz hat dann auch noch ’nen Hörspielpreis gekriegt und ist Aktivistin geworden. Da hab ich mich natürlich schon geärgert. Zumal dann auch noch Kritiken über Jutta Schwarz in der Weltbühne und so erschienen. Unter dem Namen hab ich auch in der Wochenpost verschiedene Sachen geschrieben, wenn ich dachte: hier muss nicht jeder wissen, wer das geschrieben hat. Ich hatte ja keinen Mangel an Aufträgen, es war mir egal ob nun Anne Braun oder Jutta Schwarz drunter stand.

Bei uns in der DDR

Ich hab hier gelebt, ich hab hier gearbeitet, ich hab hier mein Kind alleine großgezogen. Ich hab mit guten Leuten zu tun gehabt, ich hab mit unangenehmen Leuten zu tun gehabt. Ich hatte wirklich ein ambivalentes Verhältnis zur DDR und der Idee. Du durftest eigentlich nicht sagen, wo du herkommst, du musstest die Schnauze halten, denn die da irgendwelche Posten hatten warn entweder alle aus proletarischen oder antifaschistischen Kreisen. Als Bürgerlicher warst du der allerletzte Dreck, das hat mich sehr geärgert.

Ich hatte Schwierigkeiten in der Nazizeit und ich hatte, als wir nun sozusagen halb russisch wurden, auch ein distanziertes Verhältnis zu dem neuen Staat. Ich hab eigentlich mit meiner ganzen Entwicklung der DDR-Norm überhaupt nicht entsprochen. Dabei war ich immer sehr interessiert an all den Dingen und fand die große rote Oktoberrevolution ganz toll. Ich bildete mir ein, dass die zwanziger Jahre meine Zeit gewesen wären, dass ich da hätte leben müssen und hab viel darüber gelesen. Natürlich wäre ich auch im Gulag gestorben oder als Tote wiedergekommen. Aber das hat man ja alles erst viel später erfahren. Die Schweine haben einem ja die Bücher nicht gegeben, du wusstest ja gar nicht, wer da alles vergast wurde oder in Lagern krepiert ist. Bis in die siebziger Jahre hinein stand zum Beispiel Michail Bulgakow nicht im Schriftstellerlexikon der DDR.

Anfang der achtziger Jahre, ist dann ein ganz tolles Meyerhold-Buch erschienen. Wsewolod E. Meyerhold, der ja ein wichtiger und kritischer Regisseur nach der Oktoberrevolution war, hatten sie ja auch erst mal ignoriert. Dieses Buch hab ich dann ganz gierig gelesen und auch drüber geschrieben. Ich fand den Meyerhold ganz toll. Da gab es politische Auseinandersetzungen wo die sich gegenseitig zerfetzt haben, wo er dann in einer offenen Parteiversammlung den Lunatscharski, der so was wie der Kulturminister war, fertiggemacht hat, der hat richtig ausgepackt. Ich hab gedacht: Mensch hatte der einen Mut und bei uns, also in der DDR? Wenn die in der Wochenpost auf Sitzungen über irgendwelche Sachen gesprochen haben war’n die Leute feige, aus Schiss, dass sie keine Prämie kriegen. Ich hatte Streckenweise den Mut. Es gibt auch Sachen, die ich geschrieben hab’ und die dann nicht gedruckt worden sind. Ich hab mich zum Beispiel immer sehr für Heiner Müller eingesetzt. Das die den Meyerhold wahnsinnig gefoltert haben und er dann umgekommen ist, ist erst kurz vor der Wende rausgekommen.

Meine Kritik über die große rote Revue ’Hundert Tage, die Welt erschütterten‘ nach John Reed, die 1977 am Palast der Republik aufgeführt wurde, war schon brav, das stimmt schon. Die kam denen gerade recht. Das war eine Rieseninszenierung von Hans Dieter Meves, mit dem Fernsehballett, dem Singeklub, Pantomimen, Laien und richtigen Schauspielern. Aber ich war halt auch nicht so dagegen.
Als wir am Deutschen Theater im selben Jahr den Neruda gemacht haben oder dieses Chile-Stück ’Szenen wider die Nacht‘, was ich in Rostock gesehen hab und worüber ich geschrieben hab, stand ich auch voll dahinter, die Chilenen sind ja auch gute Schreiber. Ich wusste schon, das die Sachen für die Zwecke der DDR-Oberen missbraucht worden sind; aber na ja, so genau wusste ich das vielleicht doch nicht.

Nie mehr rasende Reporterin

Meine eine erste Demo die ich ’89 mitgemacht hab war am 4. November auf dem Alexanderplatz. Vorher hab ich mich da nicht beteiligt, das warn mehr die Leute aus’m Prenzlauer Berg und so. Außerdem hatte ich zu tun, zu tun, zu tun. Ich war noch voll im Berufsstress. Nach dem 4. November bin ich dann überall mitgegangen. Es war ’ne aufregende Zeit und ich fand gut, dass alles so gekommen ist. Na, mit Herrn Kohl nicht, den hab ich auch nicht gewählt, das fand ich schon Scheiße, aber wir hätten doch auch nichts mehr mit der DDR anfangen können. Mit dem Modrow, das war doch auch so ein Scheiß, wie der den Genossen und Funktionären noch die Häuser verkauft hat.

Bis ’92 hab ich noch gearbeitet, da war ich vierundsechzig und eigentlich schon Rentnerin. Ich hab ja in meiner Einfalt gedacht, dass ich bis zu meinem achtzigsten Lebensjahr für die ’Wochenpost‘ noch schreiben könnte. Jetzt kamen jede Menge neue Leute in die Redaktion, unter anderem ein Westredakteur, und die haben dann auch ganz viele von den Alten rausgeschmissen. Aber nicht die haben mich dann rausgeschmissen, sondern ich hab gesagt: Danke. Mit den Westleuten konnte ich ja noch richtig gut arbeiten, aber die alten Genossen, die da noch in der Redaktion saßen, die kannten einen plötzlich nicht mehr. Die fand ich ganz finster. Ich hatte ja noch einen Vertrag zu laufen, aber die haben mich einfach nicht mehr angerufen und mir gesagt, wo ’ne Premiere ist. Die Karten für die Vorstellungen hab ich mir dann selber besorgt. Wildfremde Leute wollten dann plötzlich schreiben und die Redaktion wollte die auch ausprobieren.

Ich wollte ja auch nicht mehr so viel arbeiten. Hin und wieder was schreiben o.k., aber ich wollte nicht mehr als rasende Theaterreporterin durchs ganze Land fahren. Dazu hatte ich überhaupt keine Lust mehr. Dieses Feature über die Neuberin war dann 1993 das Letzte, was von mir im Radio gesendet worden ist. Die Leute, die früher mit mir gearbeitet hatten waren ja nicht mehr da. Das war ein ganz großes Scheißgefühl. Und dann kamen auch noch meine Hüftprobleme dazu, ich war ja dauernd im Krankenhaus. Ich empfinde mich nicht als Rentnerin, ich will wirklich weiter machen, ob ich’s nun verkaufen kann oder nicht. Ich schreibe weiter und mache an Hörspielen rum. Die Sachen wird schon noch jemand wollen, das hab ich noch nicht aufgegeben und wenn’s keiner will ist es vielleicht mal für meinen Enkel noch interessant.


- Meine liebste Dichterin - Gedanken und Gaben zum Tode von Anne Braun
- Nachruf


zum Inhaltsverzeichnis  zurück zur Startseite

E-Mail an die Redaktion