Theater im Russischen Pavillon

Alte Messe Leipzig, 4. September 2005


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© Leipziger Volkszeitung vom Dienstag, 30. August 2005

Caipirinha mit Zitrone
Off-Theater zwischen Anspruch und Zwängen
Kopfschmerzen bei Förderanträgen

Das Theaterjahr bietet freien Bühnen zwei gute Chancen, Einnahmen zu erzielen: mit Sommerstücken und Wethnachtsmärchen. Ersteres hat Petrus oftmals vermasselt, auch Letzteres ist stets mit Unsicherheiten verbunden: Wie stark sind diesmal die städtischen Bühnen? Können Schulklassen als Besucher gewonnen werden? Funktioniert die Mundpropaganda? So oder so: Theater ist teuer. Auch freie Gruppen brauchen in der Regel Zuschüsse.

Ein Stichtag bereitet ihnen daher regelmäßig Kopfschmerzen: der 30. September. Bis dahin müssen die Anträge für das Folgejahr im Kulturamt vorliegen. Problem: Welcher Off-Regisseur kann im September 2005 festschreiben, was er im Dezember 2006 machen wird? Da bringen auch die freundlichen Beratungsangebote der Sachbearbeiter eher wenig. Beispiel IG Freie Szene, eine Interessengemeinschaft die - angetrieben durch die Theaterfabrik Sachsen und die Theaterbaustelle - vergangenen Herbst zusammengefunden hat, zu spät für Förderanträge. Am Sonntag stemmt sie ihre erste Veranstaltung: "Theater im russischen Pavillon". Von 12 bis 21 Uhr erhalten freie Künstler Gelegenheit, sich auf der Alten Messe zu präsentieren.

Rund 50 Zusagen gebe es, sagt Christian Müller von der Theaterbaustelle, die selbst ihre szenische Douglas-Adams-Lesung "Keine Panik!" beisteuern wird. Auch die Theaterfabrik spielt auf. Lofft und Theater Titanick begnügen sich vermutlich mit Infoständen. Karen Schönemann und Peter Bauer bieten eine Klang- und Tanzperformance. Ab 21 Uhr verwandelt sich der baufällige Pavillon in eine Partyzone. Da die Alte Messe parallel zum Tag der offenen Tür lädt, schaut garantiert auch Publikum vorbei, das die Szene sonst nicht erreicht. Ideal! Und doch wird kräftig improvisiert werden müssen.

Selbst wenn es tatsächlich Förderung gibt, reicht diese in der Regel hinten und vorne nicht. Deshalb kommen so viele Off-Produktionen mit wenigen Akteuren daher, fällt das Bühnenbild oft so spartanisch aus, wird auf Musik verzichtet. Nicht aus ästhetischen, sondern aus finanziellen, Gründen. Ein Teufelskreis, für den der Choreograf Jochen Roller ein hübsches Bild fand: Einem Barmann, der die Caipirinhas aus Kostengründen mit Zitronen statt Limonen zubereitet, werden die Kunden untreu. Ähnlich geht es der darstellenden Kunst, drückt sie den Preis an der falschen Stelle: Das Publikum bleibt weg. Dabei handelt es sich um relativ überschaubare Summen. Für 2005 gingen im Kulturamt 296 Anträge über insgesamt 3,6 Millionen Euro ein. Zu verteilen hatte das Amt nur zwei Millionen. Dass sich auch die restlichen 1,6 hätten auftreiben lassen, entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, dürfte niemand ernsthaft bestreiten - für Stardirigenten oder Museumsumbauten werden solche Beträge ja auch mobilisiert.

Warum also gehen einige Antragsteller leer aus, obwohl sie die Förderrichtlinien erfüllen? Die Theaterbaustelle e.V. ist so ein Fall. Neben diversen Inszenierungen betreibt sie einen kulturellen Salon, bietet Theatertraining an, hat das Regieduell erfunden und einen beachtlichen Stückewettbewerb ins Leben gerufen. Über das künstlerische Niveau ließe sich streiten, nicht aber über die belebende Wirkung auf die Stadt. Dennoch geht der Verein stets leer aus: «Auf Grund begrenzter Haushaltmittel kann eine Förderung aus Prioritätsgründen nicht erfolgen.« Die Theaterbaustelle hält das Vergabeverfahren hat daher Widerspruch eingelegt. Inzwischen beschäftigt sich das Rechtsamt mit der Sache, teilte allerdings schon am 24. Mai mit, dass es den "zulässigen Widerspruch als unbegründet erachtet".

Andere Theaterleute entziehen sich zunehmend der öffentlichen Hand, die sie nicht annähernd ernährt. Titanick tritt in Frankreich und der Dominikanischen Republik auf. Die Theaterturbine steht für Unternehmensfeierlichkeiten abrufbereit. Das Theater Fact finanziert sich nicht zuletzt durch Feste: Komödie plus Gastronomie plus Barpianist? Wer sich im Fact einmietet, bestimmt das Programm. Die Schaubuhne spielt mit dem Feuer: Sie kommt nun als Aktiengesellschaft daher, was für einige Politiker die Förderwürdigkeit in Frage stellen könnte. Am weitesten geht womöglich der von der Stadt geschasste Tilo Esche. Wenn er sich nicht gerade in freien Projekte engagiert, bietet der Ex-Theater-der-Jungen-Welt-Intendant "Unternehmenstheater" an. Den Besucher seiner Seite www.unternehmen-buehne.de springen Begriffe wie "Mitarbeiterführung", "Personalentwicklung", "Produktentwicklung", "Assessment Casting" an. Mit Mitteln des Theaters zum Wirtschaftserfolg: Ist es das, was übrig bleibt von Schillers ästhetischer Erziehung des Menschen?

Von HENDRIK PUPAT

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