leipzigart  KUNSTJOURNAL



globus '06 - 15. Festival für Figuren-, Objekt- und Anderes Theater
Das Jubiläum vom 1. bis zum 27. Oktober 2006

Katzgraben: Umschulung leicht gemacht
Ovationen zur Leipziger Erstaufführung mit Melanie Sowa & Hans-Jochen Menzel am 26.Oktober in der naTo

Willkommen in der DDR der 50er Jahre! Mit Blauhemd und Parteibuch unterm Arm betreten Genosse Jochen und seine Praktikantin die Bühne. Er trägt Jackett und Gummistiefel. Sie folgt ihm voller Interesse mit schicken Westschuhen an den Füßen; ihre Heimatstadt Heilbronn hat sie aus Überzeugung in Richtung Osten verlassen. Gemeinsam planen sie einen Umschulungsnachmittag für angehende Theater- und Kulturhausleiter, wobei der Genosse Jochen als Umschulungsbeauftragter der Wortführer ist. Die Zuschauer werden in dieser Vorbereitungsprobe als imaginäre Genossen angespielt, die dann am nächsten Tag den Ausführungen über den 'neuen Menschen' lauschen werden.
Ein Wandel muss in der Theaterlandschaft stattfinden: Traditionellen Passionsspiele sollen durch modernes Arbeiter- und Bauerntheater ersetzt werden. Der 'neue Mensch' braucht schließlich neue Stücke.
Anschauungsmaterial bildet "Katzgraben" nach einer Erzählung von Erwin Strittmatter. Im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen Kleinbauern und Großgrundbesitzern. Die Dorfbewohner Katzgrabens kämpfen für den Ausbau der Dorfstraße und stoßen damit auf den Widerstand der der bürgerlichen Schicht.
Präsentiert wird das Stück als Puppenstück im Probenstadium, angeleitet durch keinen geringeren als Bertold Brecht, ebenfalls eine kleine Handpuppe. Die beiden Spieler Hans-Jochen Menzel und Melanie Sowa erwecken, hinter einer kleinen Puppenbühne, allein mit vier Händen das Berliner Ensemble zu Leben. Authentisch regiert Brecht seine Schauspieler in unverwechselbarer Manier. Neben seinen Visionen vom Theater, kommt Brechts Vorliebe für das weibliche Geschlecht ausreichend zur Geltung: Vor den Augen Helene Weigels macht er der aparten Schauspielerin Eva-Maria Hagen schöne Augen und verwickelt die Sekretärin in anzügliche Weißwurstdiskurse. Dennoch bleibt es Erwin Geschonneck aufs strengste untersagt seiner Kollegin Helene Weigel nahe zu kommen. Bert Brecht wie man sich ihn vorstellt! Wunderbar.
Menzel steigt öfter kurzzeitig aus der Puppenführung aus und überprüft, die Eindeutigkeit seiner utopischen Botschaften. Jeder hat Arbeit. Der 'neue Mensch' lebt selbst bestimmt. Melanie Sowa - als Praktikantin - korrigiert ihn nur hier und da, um seine Aussagen expliziter zu machen.
Endlich wird die Utopie am Heute geprüft und der 'neue Mensch' verlässt seinen überflüssigen Schaumstoffköper. Der lebensgroße Kopf hängt an dehnbaren Gummibändern, seinen Gliedmaßen. Die Figur hat alle Dimensionen der Puppenbühne gesprengt. Die überflüssigen Arme und Beine werden einfach abgeschnitten. Der Kopf wird auch entbehrlich und so bleibt allein das Gehirn übrig. Doch schnell landet die rötliche Masse im Einweckglas, aufgehoben für später.
Durch die reduzierte Bühnengestaltung wurde das Augenmerk besonders auf die grandiose Spielleistung gelegt. Sehr natürlich und selbstverständlich traten die beiden Puppenspieler als Parteimitglieder auf und schufen eine angenehm lockere Atmosphäre, voller Ironie.
Die Zuschauer wurden Teil des Spiels, fühlten sich aber niemals in eine Rolle oder zu bestimmten Reaktionsweisen gedrängt.
Grandios beherrschten Hans-Jochen Menzel und Melanie Sowa ihr Handwerk des Puppenspiels. Die Figuren wurden in durchweg realistischen, menschlichen Körperhaltungen geführt, wobei es ein enorme Leistung war, teilweise fünf Figuren gleichzeitig auftreten zu lassen oder einer Figur die Stimme zu geben, die der Spielpartner geführt hat.
Extrem vielfältig war dann der Einsatz ihrer Stimmen, um die einzelnen Figuren zu charakterisieren. Gerade Melanie Sowa hätte man kaum zugetraut, dass ihre junge Stimme so viel älter und belegter wirken kann. Die Geschichte war sehr humorvoll und intelligent aus mehreren Spielebenen zusammengesetzt, die parallel funktionierten und für die Zuschauer klar voneinander abgetrennt waren. Man könnte noch lange Details hervorheben und deren Genialität in der Einfachheit loben und dann dazu übergehen, die Inszenierung als wunderbare Ganzes anzupreisen.
Wenn es so etwas wie Perfektion gibt, dann ist "Katzgraben: Umschulung leicht gemacht" dem sehr nahe gekommen.

Sarah Trilsch, 30.10.2006



Abbildung:
"Katzgraben: Umschulung leicht gemacht"


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